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Der AVR im Dialog mit dem Roche-CEO

Auch 2020 wurde der Gesamtvorstand des Angestelltenverbands Roche (AVR) zu Jahresbeginn von der obersten Roche-Geschäftsleitung persönlich über das Geschäftsergebnis des letzten Jahres informiert – und das lag deutlich über den Erwartungen: «Wie konnten wir mit unseren Prognosen so falsch liegen?», fragte Dr. Severin Schwan, CEO der Roche, denn auch am Mittwoch, 29. Januar, in die Runde. Danach lieferte er gleich selbst die Antwort: Das Wachstum bei den neuen Produkten, allen voran Ocrevus, Hemlibra, Tecentriq und Perjeta, sei viel höher ausgefallen als erwartet. Dagegen sei die Einschätzung der Umsatzeinbussen durch den Markteintritt der Biosimilars eine «Punktlandung» gewesen. Besonders erfreulich: Auch für dieses Jahr rechnet Schwan mit einer Umsatzsteigerung im niedrigen bis mittleren einstelligen Bereich.

Im Anschluss hatte der AVR die Möglichkeit, dem CEO Fragen zu stellen. Als Erstes thematisierte AVR-Präsident Adnan Tanglay die vielen Veränderungen im Unternehmen. So war der AVR allein im Jahr 2019 in über 20 Transformationen involviert. «Für die Mitarbeitenden bedeutet das neben Chance auch Angst», meinte Tanglay. Schwan erklärte, dass es diese Veränderungen brauche, weil das Portfolio rasant wechsle und sich die Landschaft durch die Digitalisierung, den zunehmenden Druck auf die Kosten im Gesundheitssystem und die demographische Entwicklung fundamental verändere. «Daher müssen wir weiterhin Investitionen in Innovationen tätigen», so der CEO. Er sehe für Roche aber auch die Chance, in Zukunft stärker integrierte Lösungen für Gesundheitssysteme anzubieten. Basierend auf einem breiten Portfolio von Diagnostika, Medikamenten und zunehmend digitalen Produkten sei Roche in der einzigartigen Position, mit externen Partnern wie Spitälern viel umfassender als in der Vergangenheit zusammenzuarbeiten. Dann gehe es nicht mehr einfach darum, zum Beispiel ein Krebsmedikament zu verkaufen, sondern gemeinsam sicherzustellen, dass der Patient optimal versorgt werde, beginnend mit der richtigen Diagnose und elektronischen Entscheidungshilfen für den Arzt bis hin zur Behandlung und der laufenden Überwachung des Krankheitserfolgs. Es würden sich «Gesundheitsökosysteme» herausbilden, wo die Erfassung und Analyse von Gesundheitsdaten und auch die Zusammenarbeit mit Drittfirmen immer wichtiger würden. Aber: «Das sind viel komplexere Aufgaben», betonte Schwan. Daher müsse man flexiblere Strukturen schaffen und den Mitarbeitenden mehr Entscheidungsfreiheit geben. «Sonst ist man zu langsam und die Gelegenheit ist vorbei», so der CEO. Das sei für die betroffenen Mitarbeitenden nicht immer einfach. «Jetzt ist eine Zeit des Umbruchs: Es passiert sehr viel gleichzeitig, aber da muss man durch», meinte Schwan.

Dementsprechend fragte Tanglay nach Erfolgsgeschichten. Der CEO nannte als positives Beispiel das Late Stage Committee in Forschung und Entwicklung, das entscheidet, welche Produkte weiterverfolgt werden. «Neu werden 90 Prozent der Entscheidungen nach unten delegiert. Viele davon finden jetzt in den Projektteams statt», berichtete Schwan. Dadurch würden Medikamente schneller auf den Markt kommen, was ein echter Fortschritt sei. «Wenn sich ein Arzt einmal für ein Krebsmedikament entscheidet, bleibt er meist dabei. Daher ist es wichtig, der Erste auf dem Markt zu sein», führte der CEO aus.

Reto Buholzer, Präsident AVR Sektion Innerschweiz, wollte darauf wissen, wie es in der Diagnostika punkto Transformationen weitergehe. Die Pharma sei die Vorreiterin gewesen, jetzt ziehe die Diagnostika nach, erklärte Schwan. Dr. Thomas Schinecker als neuer Leiter von Diagnostics habe mit «TransformD» einen Prozess eingeleitet, wo weltweit mehr als 2000 Mitarbeitende gemeinsam an neuen Lösungsansätzen arbeiteten. «Klar ist bereits, dass erstens genug in Forschung und Entwicklung investiert werden muss. Daher muss bei allen anderen Funktionen die Effizienz erhöht werden, um Geld freizumachen. Zweitens müssen die Silos in der Organisation durchlässiger werden, um bessere Gesamtlösungen für den Kunden zu entwickeln», machte Schwan deutlich.

Eine weitere Frage des AVR betraf die Preispolitik von Roche. Dazu meinte der CEO: Heute werde in aller Regel ein fixer «Preis pro Tablette» bezahlt, egal ob das Medikament wirke oder nicht. «In Zukunft sollte der Preis aber dem tatsächlichen Nutzen im Gesundheitssystem entsprechen», so Schwan. Das führe zu einem Risk Sharing zwischen Hersteller und Krankenkassen. Allerdings setze das voraus, dass die Patientendaten umfassend erfasst würden, wo etwa in Ländern wie der Schweiz grosser Nachholbedarf bestünde. Eine andere Stossrichtung sei es, die Preise der Kaufkraft in dem betreffenden Land anzupassen. So hatten in China lange Zeit nur Reiche, Angehörige des Militärs und der Politik, Zugang zu Medikamenten. Doch das wandle sich nun: «Wenn die Medikamente auch für ärmere Bevölkerungsschichten erhältlich sein sollen, braucht es eine Erstattung der Kosten durch die öffentliche Hand. Im Gegenzug bieten wir mit tieferen Preisen Hand zu einer nachhaltigen Finanzierung», so der CEO. In Europa seien solche differenzierten Preismodelle nach der Kaufkraft des jeweiligen Landes aber wegen der Parallelimporte schwierig umzusetzen.

Apropos China: Tanglay fragte nach einem modifizierten Tamiflu gegen das Coronavirus. Schwan antwortete, dass es kein Roche-Medikament gegen das Coronavirus gebe, wohl aber einen Test, um das Virus zu diagnostizieren. «Roche arbeitet daran, die Diagnostika nach Wuhan zu bringen», so der CEO. Das sei allerdings schwierig, da die Stadt abgeschottet sei.

In eine ganz andere Richtung ging dagegen die Frage von AVR-Kassier Andreas Winkler: Er wollte wissen, was Roche zum 125-Jahre-Jubiläum im nächsten Jahr plane. Zur Erinnerung: Zum 100-Jahre-Jubiläum hatte das Unternehmen jedem Mitarbeiter ungefähr 3500 Franken ausgezahlt. Schwan führte aus, dass es verschiedene Veranstaltungen, insbesondere auch für die Mitarbeitenden, geben werde. Spezielle finanzielle Sonderprämien seien aber nicht geplant.

Am Schluss wurde es dann noch politisch: AVR-Pensioniertenvertreter Beat Hess konfrontierte den CEO mit einer Aussage von Roche-Vize-Verwaltungsratspräsident André Hoffmann, der in der Basler Zeitung betont hatte, Unternehmen müssten nicht nur an deren Profitabilität gemessen werden, sondern auch an ihrem Beitrag für die Gesellschaft. «Das schliesst sich gegenseitig nicht aus, im Gegenteil», meinte Schwan. Die von Roche entwickelten Medikamente brächten einen grossen gesellschaftlichen Nutzen und würden nach Ablauf des Patentschutzes der Menschheit auf ewig zu sehr geringen Kosten zur Verfügung stehen. «Wir müssen uns nicht dafür entschuldigen, dass wir mit medizinischem Fortschritt Geld verdienen. Nur so können wir auch weiterhin Innovationen vorantreiben und die damit verbundenen Risiken eingehen», schloss der CEO das fast eineinhalbstündige Gespräch.